Martin Schmitz Verlag

Fritz Vischer | Website | Pressedownload

Fritz Vischer
Frischluft
Eine medizingeschichtliche Erzählung
Mit einem Vorwort von Dr. med. Peter Flury
240 Seiten, franz. broschiert
ISBN 978-3-927795-98-3
Euro 20

Vom einstigen Kindersanatorium in der gesunden Bergluft von Davos zum Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) in Nottwil am Sempacher See: Diesen Bogen schlägt Fritz Vischer in seiner medizingeschichtlichen Erzählung. Vico, der Protagonist, wird Krankenpfleger. Als Praktikant beginnt er im 1922 gegründeten „Sani“, als Diplomierter gelangt er ins SPZ. Er erlebt, was Mediziner beherrschen und wie oft sie „(wie Esel) am Berg stehen“. Das kaputte Nervensystem können sie gleichermaßen nicht heilen wie früher die Tuberkulose. Den geplagten Patienten blieb nur, im Sanatorium gute Luft einzusaugen. Menschen mit geschädigten Nerven ergeht es ähnlich. Im Reha-Zentrum dürfen sie hoffen und lernen, mit Ausfällen umzugehen. Vico folgert daraus, dass inspirierende Frischluft am besten wirkt: Rock ‘n’ Roll, seine geliebte Carol und teils schrullige Freunde gehören zu diesem Molekül. – Fritz Vischer weiss, worüber er unterhaltend schreibt: Als Jugendlicher lebte er selbst in Davos. 1977, 22-jährig, verunglückte er und verletzte sich das Rückenmark. Seither ist er im Rollstuhl. Sein Großvater war der Vater von Lucius Burckhardt.

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"Zauberberg 2.0"
Fritz Vischer unterhält sich über sein Buch "Frischluft"

Martin Schmitz: Dein Buch "Frischluft – Eine medizingeschichtliche Erzählung" ist vielschichtig. Du stösst die Leser auf die Thematik der unheilbaren Krankheiten. Meinst du tödliche Krankheiten?

Fritz Vischer: Nicht nur. Zwei Drittel aller Krankheiten sind kausal nicht heilbar. Das Spektrum reicht vom Haarausfall bis zum todbringenden Krebs oder Infekt. Dazwischen liegen die Schädigungen des zentralen Nervensystems. Sie beeinträchtigen die Lebensqualität stark, verändern unter Umständen das Persönlichkeitsprofil und führen teils schubweise zum Tod.

So steht das aber nicht im Buch!

Nicht explizit. Ich wollte kein Lehrbuch schreiben.

Sondern?

Eine unterhaltende Geschichte über Vico, den Krankenpfleger, seine Eskapaden und Wahrnehmungen in der Zeit von 1968 bis 1998. Vico ist ein kleiner, aber durchaus reflektierter Rebell, den sein Vater ins Internat nach Davos abgeschoben hat. Er ist der Protagonist in der Erzählung.

Was hat das mit unheilbaren Krankheiten zu tun?

In Davos geht Vico den Spuren seines Grossvaters nach, der als Arzt 1922 das Kindersanatorium Pro Juventute aufgebaut hat. Tuberkulose, damals eine bedrohliche unheilbare Infektionskrankheit, ist das Thema. Vico erkennt, dass es eine ethische Grundfrage ist, wie Ärzte und wir als Gesellschaft mit solchen Krankheiten umgehen.

Vicos Grossvater löst diese Frage offenbar vorbildlich, wie du es beschreibst.

Ja, er verzichtet erstens auf Heilungsversprechen, und zweitens aktiviert er seine jungen Patienten. Er fordert und fördert sie, emotional wie auch intellektuell, dank eigenen Lehrern im Sanatorium. Zudem essen sie bei ihm besser als zu Hause. Das tut seinen Patienten gut. Demgegenüber sind die Patienten in den teuren Luxussanatorien zur monatelangen Luftliegekur, zum Nichtstun auf der Davoser Liege, verdammt. Sie verkümmern, glaubt Vico zu erkennen. Thomas Mann beschreibt das sehr plastisch in seinem "Zauberberg". Schade, dass ihm das Kindersanatorium entging.

Und wo ist dieser Zauberberg?

Einen Katzensprung vom Kindersanatorium entfernt! Dort im Waldsanatorium lag und kurte Katia Mann, die Frau des Schriftstellers, monatelang. Mein Buch ergänzt den berühmten Roman wunderbar, zeigt, dass es auch andere Ansätze gab. Es ist gewissermassen Zauberberg 2.0.

Katja Mann war die ganze Zeit angeblich ganz gesund. Gute Ärzte setzen sich für ihre Patienten ein, für die anderen ist ihre Krankheit Geschäftsmodell. Sie sind im Grunde froh, dass sich die Krankheit lediglich lindern, aber nicht heilen lässt. Darauf willst du hinaus, wie mir scheint?

Ja, aber so spitz mag ich es nicht formulieren. Vielmehr lade ich den Leser ein, das abzuwägen. Vico tut das auch, sieht es indes nicht ganz klar. Klar ist ihm nur, dass er Gutes tun will. Aus Protest geht er nicht an die Uni. Er will Hand anlegen und wird deshalb Krankenpfleger und eben nicht Arzt.

Im Dialog mit der Diakonissin, Schwester Samuela, spricht er von Nächstenliebe.

Das ist die zweite ethische Grundfrage, die ihn umtreibt. Als Kind der sechziger und siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts sympathisiert er politisch nach links. So glaubt er zu spüren, dass die bürgerliche Gesundheitsversorgung so spielt wie die Kriegsmedizin. Kranke und Invalide sollen möglichst schnell zurück an die Front, an die Arbeitsfront. Allein aus Liebe gibt’s nichts. So plakativ drückt er sich freilich nur einmal aus.

Er bleibt ein kleiner Rebell. Warum lässt du ihn nicht zum Revolutionär werden?

In Davos trifft sich die Welt, selbst den Nazis gefiel es dort. Linke Revolutionäre sind aber selten anzutreffen. Seit 1971 treffen sich dort jedes Jahr die Schönen und Reichen dieser Welt im Rahmen des World Economic Forum (WEF). Dies und das Umfeld in der Internatsschule mässigen Vico, dämpfen seinen idealistischen Eifer. Dafür entdeckt er als Heranwachsender den Hedonismus, buhlt um schöne Frauen und suhlt sich im Rock’n’Roll, trinkt ab und an eins über den Durst. Erst als seine Schulkollegin Cristina tragisch verunfallt, ergreift es ihn wieder. Er folgt ihr ins Paraplegikerzentrum, der Klinik für Querschnittgelähmte. Dort stellt er fest, dass sie im Grunde ähnlich vorgehen, wie es sein Grossvater in seinem Kindersanatorium getan hat: Sie fordern und fördern die Patienten. Heilen können sie das verletzte Nervengewebe im Rückenmark nicht, versprechen das auch nicht. So schliesst sich der Kreis von der Vergangenheit bis zur Gegenwart. Die Tuberkulose, sprich alle Infektionen, waren einst nicht behandelbar, die Paraplegie und viele andere Nervenkrankheiten sind es heute.

Der Kreis schliesst sich. In meinem Bild sind es Schichten. Fliessen sie ineinander?

Ja, das tun sie. Die medizingeschichtlichen Reminiszenzen und der Werdegang von Vico bedingen sich gegenseitig.

Und der Klamauk?

Der vermeintliche Klamauk ist Vicos reales Leben. Cristina und seine geliebte Carol schütteln ihn immer wieder durch. Durchgeschüttelt zu werden, das ist es, was er "Frischluft" nennt. Sie ist am wirksamsten, sieht er je länger je mehr ein.