Martin Schmitz Verlag

Frieder Butzmann - Presse

Das von Friedrich Blume begründete und von Ludwig Finscher neu bearbeitete Musik in Geschichte und Gegenwart behauptet sich als allgemeine Musikenzyklopädie 21-bändig in Konzept und Umfang nahezu konkurrenzlos. Soweit der abgesteckte Claim, auf dem das kurz „MGG“ genannte Lexikon seine Spuren setzte und in biblischer Dimension ein Grundlagenwerk errichtete. In dieser großartigen und ganzheitlichen Umgebung siedelt Frieder Butzmann ganz bewusst, aber fern von jedem Plagiatsverdacht seine weitaus umfangärmere Untersuchung Musik im Großen und Ganzen an.
Wie viele Musiklexika in deutscher Sprache gibt es eigentlich? Jede Menge. Doch so eines wie das von Butzmann zählt eher zu einer selteneren Spezies: alternatives Gedankengut in Wissen und Bildung. Butzmann erweitert die althergebrachte und gegenwärtige Musik um Aspekte, die zunächst einmal völlig unmusikalisch wirken: Tonkneter, Festplatte, Automobil in der Musik, Pausengong, Klingonische Oper. Der Autor lexikalisiert vorsätzlich kurios, interessant und informativ um geläufige musikalische Schlagworte herum und legt den Finger in die Wunde „Definitionsschwäche“ für den Begriff Musik, wie das freimütig etwa im Lexikon Musik aus dem Metzler Verlag formuliert ist: „Einen historisch und systematisch gleich befriedigenden M-Begriff zu definieren, scheitert an der Geschichtlichkeit der M. selbst; als geistesgeschichtliches Faktum entzieht sich „die“ M. jeglicher abschließender Rubrizierung.“
Auch wegen dieser unbestimmten Auslegung verknotet Butzmann einen Begriff wie „Pappeln“ mir nichts, dir nichts zu einer musikalischen Girlande. Das Rauschen der Pappeln, die im Gegensatz zu anderen Bäumen „anders und lauter rauschen“, wie Butzmann erkannt hat, beweist sich als musikalisches Phänomen. Butzmann lenkt den Blick auf Peter Ablinger, der die Musikalität von Bäumen untersucht und eine Svmbiose zu Sprachklängen hergestellt hat, „jene charakteristischen bedeutungsunterscheidenden Obertontrauben der Vokale a e i o u ä ö ü“.
Stark schimmern persönliche Sichtachsen und egoistisch reservierte Erfahrungsschätze durch Butzmanns Kapitel durch, die es erlauben, Definitionen zu „Lenin-Sinfonie“ oder „Geronto Jazz“ ausgiebig zu erläutern. Belesen wie Frieder Butzmann nun einmal ist, fand er - natürlich, sollte man sagen - gleich 13-mal die Beschreibung des ersten Videoclips der Musikgeschichte: vom „Urknall“ über Begleitmusik zu einer Lichtspielszene von Arnold Schönberg bis Video Killed The Radio Star der Gruppe The Buggles. Butzmann profitiert vom eigenen Erfahrungsschatz als Musiker, Instrumentenbauer, Hörspielautor und Schauspieler. Was liegt da näher, als Aspekte wie DIN 1320 (Schall von sinusförmigem Verlauf) oder Trockenen Klang mit musikalischen Gedanken abzuhandeln. Dass man auf einem Friedhof mehr Ruhe, ja Stille findet als an jedem anderen Ort, wird durch Butzmanns Beschreibung zunächst deutlich, dann gruselig. Das im Verhältnis zum Original sehr viel bescheidenere „MGG“ aus Butzmanns Feder ist ein kurzweiliges Stück Musikliteratur außerhalb der wissenschaftlichen Ernsthaftigkeit. Und genau an dieser Stelle hört der Spaß auf und fangen Musik und Geräusch und Klang an.

Klaus Hübner in: Neue Zeitschrift für Musik, März/April 2009
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Eigenwilliges Nachschlagewerk

Im Großen und Ganzen ganz großartig - so kompakt ließe sich Frieder Butzmanns Nachschlagewerk "Musik im Großen und Ganzen" empfehlen. Doch wer sich nun eine Art Ergänzungsband zur "Musik in Geschichte und Gegenwart" erwartet, sollte sich vorher über Autor und Verlag klar werden.
Da ist einerseits der Verfasser selbst, ein 1954 in Konstanz geborener Tausendsassa auf allen Seitenwegen des Klanges, der noch eine unaufgeführte "Klingonische Oper" in der Schublade liegen hat, aber ansonsten in den letzten 30 bis 40 Jahren schon fast alles mit fast allen ausprobiert hat: Instrumente aus alten Radios zusammengeschraubt, Hörspiele produziert, Krach gemacht und Saxofon bei Formationen wie den "Nachdenklichen Wehrpflichtigen" gespielt. Dazu zusammengearbeitet mit allen Legenden, Koryphäen und Freaks der Szene von Gudrun Gut über Diedrich Diedrichsen bis hin zu Genesis P. Orridge von Psychic TV.
Auch der Berliner Martin Schmitz Verlag hat es in sich: Seit 1987 bietet er nach eigener Aussage "Autoren ein Forum, die die künstlerischen Genres wie Musik, Film, Text, Design, Architektur, Musik und Malerei durchbrechen, sich zwischen ihnen bewegen oder in und mit neuen Bereichen experimentieren. Die schwierige Einsortierbarkeit der dabei entstehenden Werke schafft gelegentlich unerwartete Situationen, die das neue künstlerische Entwicklungen stets bremsende Denken des Kulturbetriebs in Sparten und klassischem Kanon exemplarisch aufbricht." Jörg Buttgereit, Max Müller, Françoise Cactus und natürlich Die Tödliche Doris gehören zu den Klassikern des Hauses.
Dementsprechend bunt zusammengewürfelt ist auch das Personal, das Frieder Butzmann in seinem Buch vermittels informativer bis unterhaltsamer Fußnoten lose miteinander vernetzt: Die Bremer Stadtmusikanten sind darin ebenso zu finden wie etwa John Cage, Karl-Heinz Stockhausen oder gar ein Pionier der Roland 808 Drum-Machine, die eine ganze Generation Clubsound prägte. Darüber hinaus verweist er auf Vor- und Querdenker wie den Philosophen Roland Barthes oder das lange verkannte Universalgenie Buckminster-Fuller und zitiert auch augenzwinkernd aus seiner eigenen Zeit als Wolfsburger Stadtmusikant ("Freude Schöner Käferfunken").
Toll an diesem Konversations-Lexikon der ganz eigenen Art, das nach der Lektüre jedem seiner Leser zahllose neue Anlässe für hochinteressante Konversationen geben sollte, ist jedoch nicht nur die Verdichtung noch so abseitiger Wissensgebiete der Sorte "paraphänomenales Klavierspiel" zu kompakten Ideenfeldern. Es begeistert insbesondere im Kleingedruckten bisweilen auch der charmante Konversationston. Und der macht ja bekanntermaßen die Musik.

Gunnar Luetzow in: Berliner Morgenpost vom 9.3.2009

„Musik im Großen und Ganzen“ heißt ein Lexikon, das der Komponist und Performancekünstler Frieder Butzmann herausgegeben hat. Ein so profundes wie einfallsreiches Nachschlagewerk, das sich noch dazu vergnüglich liest, meint Rezensentin Martina Groß im SWR2. Das beginnt schon mit dem Titel, den man schließlich auch „MGG“ abkürzen könnte, ganz so wie ein anderes – ungleich berühmteres – Musiklexikon.

Nur mit einem dünnen Sweatshirt bekleidet, stand einer der Begründer der deutschen experimentellen Musik, Frieder Butzmann, vor dem Fenster und zog lachend die eisige Luft ein. „Als Musiker in den Siebzigern hatte man das Problem, dass man immer in Kellern probte und manchmal auch auftrat, die dunkel und feucht waren und mich sehr traurig stimmten. Seit damals brauche ich Licht. Die Temperatur ist mir egal. Mir ist nie kalt. Aber zum Leben und Arbeiten brauche ich Licht.“ Meet the Germans, auf der Internetseite des Goetheinstituts findet sich ein Gespräch mit Rory MacLean.

(...) Aber dadurch, daß Butzmann eine typische 1980er-Jahre-Haltung vertritt, ist nichts an seinem Buch veraltet, denn genau dieses hierarchiefreie Springen, das lose assoziative Denken und Verbinden von scheinbar Inkompatiblen zeichnet ja den Umgang mit dem Internet aus, wie ihn heute viele von Kindesbeinen an lernen. Das Lesen in Butzmanns Buch erinnert daher auch ans Surfen. Alleine, daß Butzmann uns die Links vorgibt. Dadurch ist »Musik im Großen und Ganzen« ein Buch geworden, das zwar fast wie das Internet funktioniert, das aber nicht durch das Internet überflüssig geworden ist. Schön unordentlich, aber doch irgendwie in sich stimmig.

Daniela Leitner in: Literatur, Beilage der jungen Welt, 11.02.2009

Unter dem Titel "Die Schizophrenie des Krachmacheurs" schreibt Felix Hofmann über das Musiklexikon der besonderen Art in Glanz & Elend - Magazin für Literatur und Zeitkritik: Der Titel – Musik im Großen und Ganzen – ist eine Anspielung auf die größte Musik-Enzyklopädie, die es gibt, das MGG (Musik in Geschichte und Gegenwart). Bei Frieder Butzmann finden sich allerdings Begriffe, die sich mehr als deutlich von denen in einem normalen Nachschlagewerk unterschieden. Man merkt schnell, daß die Abweichung Programm ist ... weiter

Christoph Bannat schreibt: Zwei Bücher, die sich im Dunstkreis von bildender Kunst und Musik bewegen: Eigenblutdoping von Diedrich Diederichsen und Musik im Großen und Ganzen von Frieder Butzmann. Beide Bücher lohnt es sich zu lesen. Auch wenn bei letzterem die nonlineare Lesebewegung von eher der eines Flaneurs als der eines fortschreitenden Wanderers entspricht. Weiter zum Kunst-Blog mit einem Butzmann-Interview.

Unter dem Titel "Wissenswertes über den Generalbass" schreibt Thomas Hübener in der Spex #318, Januar/Februar 2009. Der Musiker, Komponist, Hörspielautor und ehemalige "Geniale Dilletant" Frieder Butzmann, der 1981 mit Hilfe des Throbbing-Gristle-Notorikers Genesis P. Orridge das Industrial-Album »Vertrauensmann des Volkes« aufgenommen hat, veröffentlicht jetzt mit »Musik im Großen und Ganzen« ein anarchisches, Kalauer mit Wissenschaft verbindendes Musiklexikon.

"Geniale Dilletanten" - Vom Ansteckertext zum Namen eines Festivals - über den Titel eines Buches herrausgegeben von Wolfgang Müller - Geniale Dilletanten waren Musiker, Künstler in Berlin um das Jahr 1980. Einer der im Buch von Müller unter dem Begriff "Genialer Dilletant" Genannten ist Frieder Butzmann - Musiker der Bands "Liebesgier" und "Nachdenklich Wehrpflichtige". Er arbeitete mit diversen Künstlern, an Opern und Hochschulen. Frisch erschienen ist Frieder Butzmanns "MGG - Musik im Großen und Ganzen" - das liest sich wie ein Ergänzungsband zu den großen Nachschlagewerken zur Musik. Der Autor erweitert die Auffassung um wesentliche Aspekte. Michael Nicolai von Radio Corax sprach mit dem Autor über "Dilletantismus", Musik als solche und Nasenhaartrimmer im Morgenmagazin auf Radio Corax.

Neues aus der wahren Punkszene. Da schliessen sich ja Kreise, die bis in meine Kindheit reichen! Auf den ersten Blick ein Musiklexikon, aber für mich ist dieses Buch viel mehr. Ein spannender Musik-Thriller, und ich kann irgendwo reinlesen und irgendwo aufhören, ist ja von A - Z, also mal bei F lesen und dann bei M und so. Detlef Schiermeister schreibt weiter ...

Frieder Butzmann ist zumindest in Berlin kein Unbekannter. Der 54-Jährige baut seit Jahrzehnten eigene Musikinstrumente, bespielt diese und anderer Leute Gerätschaften und spricht auch vor Studenten darüber. Seine Verortung bei den Genialen Dilletanten wie Neubauten oder Die tödliche Doris mag zwar his?torisch zutreffen, ist aber vor Butzmanns Bildungshorizont eher irreführend. Was ihn am allermeisten von Musik-Anarchisten als auch -Aka?demikern unterscheidet: Er ist kompetent und witzig. Das zeigt nun auch wieder sein kleines Lexikon „Musik im Großen und Ganzen“, das der Verlag augenzwinkernd als Ergänzung des Standardwerks „Musik in Geschich?te und Gegenwart“ bewirbt. Butzmann packt hier einfach mal alles rein, was aus seiner Sicht in der offiziellen Kulturgeschichtsschreibung zu kurz kommt. In erster Linie sind das er selbst, seine musikalischen Hilfsmittel (Multivibrator-Simultan-Hickhack) und die Musiker, die ihn beflügen (Cage, Stock?hausen) oder ihm auf die Nerven gehen (Nina Hagen). Ungeachtet des lexi?kalischen Aufbaus: ein kurzweiliges Lesebuch des amüsant Abartigen.

Hagen Liebing in: Tip Berlin, 16.12.08

"Musik im Großen und Ganzen" ist Frieder Butzmanns ganz originärer, spleeniger, komischer, aber auch hochgelehrter und ganz undünkelhafter kleiner Ergänzungsband zur großen MGG-Enzyklopädie ("Musik in Geschichte und Gegenwart"). Was da fehlt, hier wird es nachgereicht, so wissenschaftlich wie nötig und so unernst wie möglich. Butzmann, kennt man ja vielleicht, ist ein "Krachmacheur" von Gnaden, ein Avantgarde-, Experimental-, Elektronik-Fex, der bereits 1968 an synthetischen Klangerzeugern herumschraubte, später den "Duo Multivibrator Simultan Hick Hack" erfand, mit Genesis P. Orridge, Blixa Bargeld und Thomas Kapielski noiselte, Opern komponierte und dann auch als Dozent Studentengenerationen die Anfangsgründe der ars electronica beibog. Man merkt das in jedem Satz, hier ist ein profunder, theoretisch wie praktisch beschlagener Musikkenner am Werk, der über den Fetisch "Stecker" genauso Witziges wie Wesentliches zu erzählen weiß wie über John Cage, Hans Reicheis merkwürdiges "Daxophone" oder die Ästhetik des "Loops". Und so nebenbei erklärt er dabei auch noch das eigene Werk.

Frank Schäfer in: Rolling Stone, Dezember 2008
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