Martin Schmitz Verlag

Die Tödliche Doris - Kunst

Sie sehen Fotos der Ausstellung im Kunstraum Bethanien 1999 versehen mit Texten aus dem gleichnamigen Buch.

Für ihre Fans hat Die Tödliche Doris immer wieder Autogrammkarten hergestellt. Die erste von 1980 existiert allerdings nur in einem Exemplar. Als das Trio nämlich ihre erste Postsendung von der Berliner Sparkasse zugeschickt bekam, erhielt sie neben dem Kontoauszug auch ein Werbefaltblatt, auf dem eine musizierende Band abgebildet war: eine singende Frau samt Schlagzeuger und Gitarristen. Das Portrait dieser namenlosen, wahrscheinlich nur für die Fotosession erfundenen Band wurde von Doris durch diverse Retuschen mit Tipp-Ex so verändert, daß es der Besetzung ihrer eigenen Band ähnelte.
Die zweite und dritte Autogrammkarte wurde 1983 vor dem besetzten Haus in der Manteuffelstraße 40/41 und 1984 in einem Naturschutzgebiet in New Jersey/USA aufgenommen. Auf beiden ist auch die Schauspielerin Tabea Blumenschein zu sehen, die Die Tödliche Doris als Gaststar auf einigen Tourneen begleitete.
Im folgenden Jahr erschien die „Autogrammkarte ´86“. Mit dem FDA-Aufdruck versehen wies sie zugleich auf die Foto-Dokumentar-Archiv-Ausstellung im Künstlerhaus Bethanien hin.
Mit der Auflösung der Gruppe 1987 bekamen Nikolaus Utermöhlen, Wolfgang Müller und Käthe Kruse ihre eigenen Autogrammkarten, große Gemälde auf Leinwand. Die Bilder zeigen jeweils fünf Posen. Wolfgang Müller beauftragte den Maler Detlef Kroll, nach Fotovorlagen die fünfzehn Portraits samt gemalten Autogrammen herzustellen. Es sind bereits Arbeiten aus der „Schule der Tödlichen Doris“.

... Nach dem Theaterstück in Tokyo brachte Die Tödliche Doris ihre Bühnengarderobe und einige Musikinstrumente in die endgültige Form. Für eine Ausstellung in der Frankfurter Galerie Tröster & Schlüter im Jahre 1991 wandelten sich drei Minikleidchen aus Polyester in das Objekt „Sesselgruppe Kleid“. Die Kleidchen wurden mit Kissen ausgestopft und auf drei Gartenstühle genäht. Die Knabenschlüpfer, die Fransenslips und die kratzigen Glitzeroberteile verwandelten sich in die Lichtobjekte „Lampe Slip“, „Lampe Oberteil“ und „Lampe Revue“. Eines dieser, nämlich die „Lampe Slip“ befindet sich heute in der Sammlung des schwulen Museums in Berlin.

... Jahre zuvor saßen Käthe Kruse, Nikolaus Utermöhlen und Wolfgang Müller zusammen, um ein Musikstück für den englischen Sampler: „Three Minute Symphonie“ zu komponieren. Der Text handelt von der kleinen Maria, die mit Fußring, Kleid und Haarspange allmählich im Moor versinkt. Nah und fern sollte der Ruf nach ihr klingen, so als würden verschiedene Leute hunderte von Metern voneinander entfernt stehen und „Maria“ rufen.
Zur Besprechung traf sich die Band auf dem Bett von Nikolaus Utermöhlen in dessen Wohnung. Es lag nahe, die Kopfkissen auszuprobieren. Natürlich hätte der nun entstehende Effekt auch mit moderner Studiotechnik erzeugt werden können, aber das Hineinsingen in Kissen erschien praktischer. (...) Wolfgang Müller und Käthe Kruse sangen die längsten Textpassagen, die sie Dank der Kissen nicht auswendig lernen mußten. Sie befestigten ihre Texte mit Sicherheitsnadeln auf der Rückseite. Beim in-das-Kissen-hineinsingen öffnete sich jedoch eine Nadel und stach Wolfgang in die Wange. So kam Doris auf die Idee, vier Kissen rosa einzufärben und bestickte sie mit schillerndem indischen Seidenstickgarn. Am schnellsten war das Kissen von Tabea fertig, die nur gelegentlich „Maria“ sang.

„Foto-Dokumentar-Archiv“. Die Mitarbeiter des Archives Nikolaus Utermöhlen, Wolfgang Müller und Käthe Kruse hatten es sich zur Aufgabe gemacht, die Unmenge an existierenden, unverarbeiteten und mehr oder weniger zufälligen privaten Fotos der 60er, 70er und 80er Jahre aus verschiedenen Nachlässen, Mülleimern und Trödelläden zu sammeln, zu dokumentieren, zu analysieren und schließlich in diverse Kategorien einzuteilen.
Ausgangspunkt dieser Aktivitäten war eine umfangreiche Sammlung weggeworfener, oft mehrmals zerrissener Paßfotos, die Wolfgang Müller und Nikolaus Utermöhlen seit 1979 neben oder auf Fotomatonbildautomaten in Berliner U-Bahnhöfen gefunden und aufgelesen, gesäubert, rekonstruiert und zusammengeklebt hatten.

Im Frühling 1985 entdeckte Doris ihre Liebe zur Malerei. In der Abteilung für den Hobbyfilmer eines Fotofachgeschäfts fand sie einen zauberhaften Super 8 Szenentrenner, der gewöhnlich mit abstrakten bewegten Motiven den Sommer- vom Winterurlaub oder den Kindergeburtstag von der Goldenen Hochzeit trennt. Dieser knapp zwei Sekunden lange Film besteht aus 44 Einzelbildern.
Diese Bilder fand Doris so schön, daß sie sie als große Gemälde haben wollte. (...) Die 44 Bilder sind mit Lackfarbe auf Leinwand gemalt und 1 m x 1,30 m groß. Das Bildmotiv selbst ist nur zu einem Bruchteil sichtbar und auf jedem Bild in einer anderen Position zu sehen. Es handelt sich um einen undefinierbaren Gegenstand mit roten und weißen Strunken, der durch ein Kaleidoskop betrachtet, in 44 nachfolgenden Bewegungsabläufen, beziehungsweise Filmbildern abgebildet ist. Im Kaleidoskopbild gibt es mehrere Spiegelachsen, die den Gegenstand teilen, verdoppeln, vervielfachen, seine Form neu zusammensetzen oder verschwinden lassen. Insgesamt zeigen die Bilder einen Bewegungsablauf eines abstrakten Objektes, das sich durch die Bewegung des Objektives in den Spiegelachsen bricht. Zuerst vergrößert sich das gespiegelte Objekt, wächst mit seinen Spiegelungen zusammen, bricht wieder auseinander, bildet allmählich zwei geschlossene Formen, die, kleiner und kleiner werdend, letztlich verschwinden. Auf dem Super-8-Film bewegt sich das Motiv auf schwarzem Hintergrund. Die Bilder ergeben einen kaleidoskopischen Bewegungsablauf, der in 44 Einzelbildern auf der Leinwand erstarrt. Zwischen den Bildern allerdings, im Sprung von Bild zu Bild, liegt die Bewegung: das Leben.

Die Handrasseln, die Die Tödliche Doris zum Stück „Weltkonferenz Hochalpen“ schüttelte, wurden zur Verpuppung in Teppichstücke eingerollt, die durch pfauen-federbesetzte Goldpöppel zusammengehalten sind. Insgesamt entstanden sieben solcher Larven. Für diese sieben „Doubles“ mußten zusätzliche Goldpöppel aus Moosi, Pfauenfedern und Glitzerstoff hergestellt werden. Da die beauftragte Firma durch einen Übermittlungsfehler zuviel Material lieferte, wurden die überzähligen Pfauenfedern zum Auflagenobjekt „Souvenir“ weiter verarbeitet.

(...) Zeitgleich zu der ersten Galerieausstellung erschien die Langspielplatte „Unser Debüt“, der vierte Tonträger der Tödlichen Doris. Musikalisches Thema dieser Produktion war der gerade einsetzende aktuelle Drang vieler Underground- und Dilletantenbands zum Durchbruch, kommerziellen Erfolg und zum Hit. Folglich sollte die Musik von „Unser Debüt“ bemüht, gewollt, angestrengt, ambitioniert, aufdringlich und zugleich kommerziell, U-Musik-mäßig klingen. Das Pendant dazu erschien ein Jahr später. Die LP „sechs“, das Gegenteil: unkommerziell, autonom, esoterisch, ein Kunstwerk, eben E-Musik.
In Wahrheit aber entstand die Musik der beiden LPs zeitgleich 1984 in den Studios von Atatak in Düsseldorf. Die beiden Platten waren so konstruiert worden, daß sie in Musik, Text und Gestaltung perfekt miteinander korrespondieren, ein neues Ganzes ergeben, wenn man sie auf zwei Plattenspielern zeitgleich je mit den A-, beziehungsweise B-Seiten abspielt. Die Länge der jeweiligen Stücke ist auf beiden LPs folglich bis auf die Sekunde identisch. So entstand die erste unsichtbare Schallplatte der Welt.

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