Martin Schmitz Verlag

Einblick ins Leben
Stefan und Juwelia: Mehr als nur ein Buch und eine Ausstellung

Rigoros haben wir uns analog den binären Systemen an ein Entweder-Oder, ein Schwarz oder Weiß, Plus oder Minus, Positiv oder Negativ gewöhnt. Manche rebellieren mit ihren Körpern dagegen, mit Genderspiel und mit Kleidung. Juwelia, alias Stefan Stricker, 1963 im hessischen Korbach geboren, ist so eine Person, die das enge Korsett der binären Geschlechterordnung sprengt und sich sehr produktiv in einem Dazwischen ansiedelt.
Weil eigentlich gar nichts anderes in Frage kam, als ihre existentielle Identität des Changierens, das sich von Situation zu Situation minütlich neu artikulieren kann, zum Beruf zu machen, verwirklichte sich Juwelia im Oktober 2006 ihren großen Traum von der eigenen Bühne in dem mittlerweile hippen Kreuzkölln. Hier kann Juwelia so sein, wie sie ist. Und das ist eben nicht das »übliche« Travestietheater mit der gespielten anderen Identität – um nach der Bühne wieder in ein offiziell bürgerliches Leben einzutauchen. Bei Juwelia ist die Bühne die Gelegenheit, ihre Lebenstheatralik unverstellt zu zeigen und in ein Spiel mit dem Publikum einzubinden.
Anja Teske hingegen, eine Künstlerin, die über den Umweg der Malerei zur Fotografie gefunden hat, beschäftigt sich seit acht Jahren mit Juwelias Existenz im Dazwischen. Daraus ist eine Freundschaft entstanden, die das notwendige Vertrauen wachsen ließ, um einen intimen Raum für Juwelia, Stefan, sich und die Kamera zu schaffen. Anja Teske spricht deutlich von einem Verhältnis zu viert. In Anja Teskes Bildern zeigt sich Juwelia in ihrem Wohnparadies aus überbordender Farbigkeit, Tüll, Chichi, Perücken, Ornamente, Ketten, unzählige Kleider, High Heels, Handtaschen. Je kitschiger, desto besser. Blumenmuster auf Tapeten, Tischdecken und Teppich, dekorative Arrangements auf Tisch und anderen Möbeln. Dazwischen Juwelia, die sich selbst wie ein Geschenk darbietet. Mal nackt mit Ganzkörperschleife und Perücke, mal ganz Charming boy, schüchtern und etwas versunken.
Das war kein klassisches Photoshooting, was sich da im Lauf mehrerer Jahre abspielte. Es sind Gespräche zwischen Freunden, beobachtet von der Kamera. Eingestreut in das tolle Buch von Anja Teske finden sich Aussagen von Juwelia, zu sich, ihrem Leben, der eigenwilligen Metaphorik in ihren Bildern oder auch schon mal eine Bemerkung zu Angela Merkel, die ihr gefällt. Die Farben der Bilder sind nicht vordergründig knallig wie in den üblichen Fotobüchern, sondern erscheinen mit einem leicht blassen Touch und etwas entsättigt. Das unterstreicht die Alltäglichkeit und das Vergängliche. Kein Catwalk der Perfektion und des falschen Glamour, sondern der Glamour des Falschen in einem echten Leben voller Talmi. Dazu gehören das Loch in der Netzstrumpfhose, der Straß, die falschen Blumen, der geblümte Teppich und die blau und rosa übermalte Kommode.
Anja Teskes Buch, für das Wolfgang Müller nochmals die Geschichte der subkulturellen Travestieszene Westberlins Revue passieren läßt, ist eine wunderschöne und liebevolle Hommage an den Mut zu einer Identität im Dazwischen.

Matthias Reichelt in: junge Welt vom 17.12.2012
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